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Barrieren im Katastrophenschutz

Barrierefreiheit

Menschen mit Behinderungen sind stärker von Klimakatastrophen betroffen. Das hat erst die neueste Doku von andererseits aufgezeigt. Wie also schaut barrierefreier Katastrophenschutz aus?

Der Tod der 12 Menschen mit Behinderungen, die in der Nacht von 14. auf 15. Juli 2021 im deutschen Sinzig an der Ahr in der Flut gestorben sind, hätte verhindert werden können. Das haben die Journalistinnen und Journalisten der inklusiven Redaktion andererseits in ihrer kürzlich veröffentlichten Doku „Rette sich, wer kann“ herausgearbeitet. Katastrophenschutz denkt Menschen mit Behinderungen nicht mit, auch in Österreich nicht. Hier hat jedes Bundesland einen eigenen Katastrophenschutzplan, aber das Wort „Barrierefreiheit“ oder „Menschen mit Behinderung“ ist nicht zu finden, wie Emil Benesch vom Behindertenrat schreibt. Dabei leben laut einer Studie der Statistik Austria mindestens 18,4 % der österreichischen Bevölkerung mit einer Behinderung. Schließt man ältere Menschen, die vielfach mobilitäts- und oder sinneseingeschränkt sind mit ein, dann ist die Zahl noch deutlich höher.

Warum Menschen mit Behinderungen besonders von Katastrophen betroffen sind

Bei einer Sensibilisierungsschulung im Parlament hat ein Rollstuhlnutzer kürzlich erzählt, dass er in seiner ehemaligen Schule bei keiner Brandschutzübung rechtzeitig nach draußen gebracht werden konnte. Im Ernstfall wäre er also jedes Mal verbrannt. Katastrophenschutzübungen werden selten mit Menschen mit Behinderungen geübt, obwohl gerade diese Gruppe sich bei mangelnder baulicher Barrierefreiheit auf fremde Hilfe verlassen muss.

Dass es für Menschen mit Behinderungen im Krisenfall besonders schwierig wird, wenn man nicht an sie denkt, haben wir auch letzten Frühling von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern mit Behinderungen gelernt. Bunker waren nicht zugänglich, die Mobilität erschwert, der Lärm des Krieges besonders für Autistinnen und Autisten eine traumatisierende Erfahrung. Menschen mit Behinderungen wurden von ihrem sozialen Versorgungsnetz abgeschnitten, auf das sie vielfach angewiesen sind. Fällt zusätzlich der Strom aus, wird es gerade für jene schwierig, die auf elektrische Hilfsmittel wie Beatmungsgeräte, Aufzüge, Hörgeräte oder Rollstühle angewiesen sind. Menschen mit chronischen Erkrankungen benötigen auch oft besondere medizinische Versorgung, die in Krisengebieten nicht aufrechterhalten werden kann.

Mögliche Barrieren im Katastrophenfall für blinde und sehbehinderte Menschen

Rund 300.000 Menschen leben in Österreich mit einer Seheinschränkung, wir vermuten auch hier, dass es durch die zunehmend alternde Bevölkerung und dem erhöhten Vorkommen von Augenerkrankungen mit zunehmendem Alter noch mehr sind. Die Informationsketten in Katastrophenfällen widerspiegeln das nicht. Warnungen und ggf. Evakuierungspläne werden häufig über Sirenen, Online-Nachrichten oder Wetter-Warn-Apps kommuniziert. Gerade letztere sind vielfach nicht barrierefrei mit dem Screenreader zu bedienen. Auch visuell eingebundene, aber nicht audiodeskribierte Notrufbanner in TV-Livesendungen sind für blinde Menschen nicht optimal.

Bei längeren Stromausfällen können wichtige Hilfsmittel wie das Smartphone nicht mehr zur selbstständigen Navigation genutzt werden. Assistenz- und Blindenführhunde werden zwar auf laute Geräusche geschult, könnten bei extremen Wettersituationen aber anders reagieren als üblich. Gerade für blinde und sehbehinderte Menschen sind ungewohnte Wege, Lärm und Hindernisse wie umgefallene Bäume oder Bauschutt auf der Straße schon im Normalfall eine Herausforderung. Im Krisenfall kann das bedeuten, dass man sich ohne Begleitung nicht in Sicherheit begeben kann.

Wie barrierefreier Katastrophenschutz (nicht nur) für blinde und sehbehinderte Menschen aussehen könnte

Extreme Unwetter, Überschwemmungen und andere Klimakatastrophen werden uns mit Fortschreiten der Klimakrise noch häufiger begegnen. Dass bestimmte Bevölkerungsgruppen hier aber stärker betroffen sind als andere, ließe sich aber verhindern, wie Katastrophenforscher Friedrich Gabel in der Doku von andererseits erklärt. Deshalb sind Pläne für einen barrierefreien Katastrophenschutz unerlässlich. Doch wie könnte der aussehen? Wir hätten da ein paar Ideen:

  1. Einbeziehen: „Nothing about us without us“, es ist ein alter Hut, aber noch immer nicht üblich in politischen Prozessen. Wer guten barrierefreien Katastrophen- und Klimaschutz machen will, muss Menschen mit Behinderungen schon von Beginn an in die Planung einbeziehen. Dann können viele Fragen bereits im Vorfeld geklärt werden und selbstbetroffene Menschen wissen bekanntlich am besten was sie brauchen und wie man am besten helfen kann.
  2. Standardisierung und Gesetzgebung: der Schutz von Menschen mit Behinderungen muss verbindlich, am besten per Gesetz geregelt und festgeschrieben sein.
  3. Barrierefreie Information: Informationen wie Wetterwarnungen, Evakuierungsinformationen und Notrufhotlines müssen barrierefrei zugänglich sein, also etwa mit Screenreader lesbar sein, in Gebärdensprache oder auch in leichter Sprache verfügbar sein.
  4. Kenntnisse zur Selbstrettung: staatliche Schutzmaßnahmen sind unerlässlich, aber Menschen mit (Seh-)Behinderungen sollen auch darin gefördert werden, sich im Katastrophenfall selbst retten zu können, zB könnte das in Form von barrierefreien Trainings oder Workshops für Menschen mit Behinderungen passieren. Nützliche Trainings wie Erste-Hilfe-Kurse haben leider oft nicht Menschen mit Behinderungen als Zielgruppe. Für Heime oder Werkstätten heißt das etwa, dass man regelmäßig gemeinsam Evakuierungen übt.
  5. Barrierefreie Pläne: in allen Leitfäden für Menschen mit Behinderungen, wie man sich selbst für Katastrophenfälle vorbereiten kann steht, dass man sich die nationalen oder lokalen Evakuierungs- und Katastrophenschutzpläne anschauen soll. Dafür müssen diese aber leicht und barrierefrei abrufbar sein. Für blinde und sehbehinderte Menschen wären taktile Pläne, etwa taktile Grundrisse eines Gebäudes oder der unmittelbaren Nachbarschaft eine Möglichkeit zum Üben der Orientierung für den Ernstfall.
  6. Bauliche Barrierefreiheit: es erklärt sich wohl von selbst, dasssich Menschen mit Behinderungen leichter in Sicherheit begeben können, wenn das Gebäude in dem sie sich befinden baulich barrierefrei oder zumindest barrierearm ist. Für blinde und sehbehinderte Personen kann es etwa eine nützliche Information sein, wenn das Stockwerk in dem man sich gerade befindet, am Stiegen-Geländer taktil erfahrbar ist.
  7. Sensibilisierung für Katastrophenschutzpersonal: wer beim Militär, der Feuerwehr oder anderen Zivilschutzverbänden tätig ist, wird vermutlich bei Katastropheneinsätzen präsent sein und sollte dementsprechend auch darauf vorbereitet sein, was Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen brauchen. Schulungen oder Beratungen durch Interessensvertretungen vorab können Fragen oder Unsicherheiten darüber nehmen. Rettungsübungen sollten auch mit behinderten Menschen stattfinden. Auch Projekte wie das Notfallregister, in das man sich als Person mit Behinderungen eintragen kann, sind hier hilfreich.
  8. Mehrfachbehinderungen: es gibt viele Menschen, die mehr als eine Behinderung haben. Man kann etwa hör- und sehbehindert sein oder eine Lernschwierigkeit haben und schwerhörig sein. Auch darauf soll man im Krisenschutz nicht vergessen.
  9. Nach der Katastrophe: Menschen mit Behinderungen muss man auch in den Phasen nach der akuten Katastrophensituation mitdenken. Seit dem Hurrikan Katrina 2005 weiß man, dass es auch hier großen Nachholbedarf gibt. Wer kümmert sich um Nachschub bei kaputten oder verloren gegangenen Hilfsmittel sowie dringend benötigten Medikamenten, was passiert mit Assistenz- oder Blindenführhunden und was, wenn man wichtige Dokumente verloren hat, an die der Zugang zum Sozialsystem gebunden ist? Auf diese Fragen sollte der Katastrophenschutz vorbereitet sein.