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Grabtour: Zwei besondere Tage

Persönlichkeiten

Grabtour: Es ist noch stockdunkel, als wir uns mit Kübel und Bürste, Gartenschere und Putzlappen auf den Weg machen.

Es ist noch stockdunkel, als wir uns mit Kübel und Bürste, Gartenschere und Putzlappen auf den Weg machen. Zwei Tage lang besuchen Zlatko Dzamarija und ich die 51 Gräber verstorbener KollegInnen, ehrenamtlicher MitarbeiterInnen und TestamentsspenderInnen. Ich tue das zum ersten Mal, Zlatko Dzamarija als langjähriger Mitarbeiter der Hilfsgemeinschaft kannte viele der Verstorbenen gut. Während wir Grabsteine waschen, Grabdeckel abbürsten oder Laub aus Bodendeckern klauben, erzählt er mir von diesen Menschen: von der Trauer, wenn statt eines ehrenamtlichen Kollegen die Nachricht über sein Ableben kam; von der Betroffenheit, wenn Gäste der Waldpension plötzlich nicht mehr abzuholen waren, aber vor allem von kleinen Begegnungen und schönen Erinnerungen. Es ist wie in einer Familie, in der Geschichten über längst verstorbene Onkel und Cousinen denen erzählt werden, die sie nicht mehr kannten.

Zwei Tage lang reinigen wir Grablaterne, schmücken Vasen mit leuchtend gelb-orangen Seidendahlien und zünden auf jedem Grab eine Kerze an. Wir beginnen im dichten Nebel, zu Mittag kommt die Sonne heraus und schenkt uns hoch über Wien einen wunderschönen Blick auf die bunten Laubbäume. Auf den Friedhöfen herrscht eine ruhige, besinnliche Stimmung. Hier und da setzen Angehörige Blumen, an anderen Ecken erneuern Handwerker die Goldbuchstaben an Grabsteinen.

Als wir die letzte Kerze entzünden, senkt sich schon wieder die Dunkelheit über die Stadt. Zuhause schlage ich ein Kochbuch zufällig auf der letzten Seite auf und lese die Widmung der Autorin: „Für meine Familie, die Lebenden und die Gegangenen und für die, die noch kommen werden.“ Und plötzlich scheint mir der Kreislauf des Lebens so nahe wie noch nie.

Mehr zur Autorin: Silvia Mayrhofer leitet bei der Hilfsgemeinschaft die Abteilung Testamente und Verlassenschaften