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Unsere Mitglieder erzählen - Annemarie Leitner

Persönlichkeiten, Mitglieder

Unsere Mitglieder sind das Herz der Hilfsgemeinschaft. Über 4.600 Menschen mit einer starken Sehbeeinträchtigung dürfen wir mit unseren Angeboten unterstützen. Hier am Blog wollen wir unsere Mitglieder vorstellen und sie zu Wort kommen lassen. Heute im Porträt: Mitglied und Fußballikone Annemarie.

Annemarie Leitner ist Mitbegründerin des ältesten heimischen Frauenfußballklubs

Der flotte Kurzhaarschnitt und das Puma T-Shirt, das Annemarie Leitner trägt, geben schon einen kleinen Hinweis auf ihre sportliche Vergangenheit: „Ich wollte nie etwas anderes als Fußball spielen!“ Was heute ganz normal ist, war in der Kindheit der Wienerin ein schier unerreichbarer Traum. Mädchen, die damals Fußball spielen wollten, waren einfach nur lächerlich. Aber Annemarie Leitner hat sich ihren Kindheitstraum erfüllt. Sie war 1964 die treibende Kraft bei der Gründung des Frauenfußballteams „Schwarz-Weiß“. Aus dem Hobbyverein, in dem vorerst Handballerinnen spielten, wurde später Union SC Landhaus.

Mitbegründer Gerhard Traxler, der Zwillingsbruder von Annemarie, war Manager, Trainer und Zeugwart in Personalunion. In einem Kurier-Interview erinnert sich der heutige Obmann des österreichischen Rekordmeisters Union SC Landhaus an die Anfänge in den 1960er-Jahren: „Es war zach. Frauenfußball war verpönt, um nicht zu sagen verboten.“ Die Platzwarte räumten die Tornetze weg, wenn er mit seinen Damen trainieren wollte. Offiziell durften die Frauen nämlich lange Zeit gar nicht auf den Fußballplätzen spielen. Bei ihren Matches wurden sie von männlichen Voyeuren mit bösartigstem Spott übergossen und die Medien trugen fleißig zur Diskriminierung der Fußballerinnen bei. Wenig hilfreich waren natürlich auch die Jux-„Frauschaften“, die ohne auch nur die geringste Ahnung vom Fußball zu haben zur Belustigung des (vorwiegend männlichen) Publikums von findigen Geschäftemachern aufeinander losgelassen wurden.

Zuschauerin

Umso bewundernswerter ist die Zähigkeit, mit der Annemarie Leitner ihren Kindheitstraum verfolgte. Als kleines Mädchen wurde sie von den Jungs verlacht, weil sie das runde Leder treten wollte. Mit dem Vater besuchten sie und ihr Bruder die Spiele der Wiener Austria. Annemarie beobachtete die Kicker auch auf dem Trainingsplatz, wo sie die Rolle des Ballmädchens übernahm und viel beim Zusehen lernte. Ab und zu bot sich für sie und Bruder Gerhard die Möglichkeit auf dem Sportplatz im Wiener Stadionbad zu ballestern. Dort fanden sich Austria-Spieler ein, die Annemarie vom Training kannten und mitspielen ließen. Als sie zehn Jahre alt war lernte sie Karl Strotz (Austria-Legende, Teamchef der Nationalelf) kennen, der ihr einige Tricks zeigte. „Leider gab es zu diesem Zeitpunkt für Mädchen keine Möglichkeit, in einem Verein Fußball zu spielen. Ich war darüber sehr traurig“, erinnert sich Annemarie Leitner. Also spielte sie Handball, zuerst als Torfrau, später wollte sie als Feldspielerin selbst auf das Tor schießen. Weil sie mit 13 noch zu jung für die Kampf-mannschaft war, im Team aber eine Torfrau gebraucht wurde, bekam sie einen gefälschten Spielerpass. Im Alter von 20 Jahren heiratete sie, obwohl sie sich dafür noch zu jung fand, auf Wunsch ihrer Mutter. In den folgenden Jahren brachte sie Tochter Eveline und die Zwillinge Herbert und Wolfgang zur Welt.

Stadionbad

Die Leidenschaft der sportlichen jungen Mutter für den Fußball blieb ungebrochen. „Sobald es das Wetter und die Zeit erlaubte, ging ich zum Fußballspielen in das Wiener Stadionbad, wo ich bereits bekannt war und immer mitspielen konnte.“ Eines Tages tauchte dort ein gewisser Herbert Prohaska auf, der Annemarie sofort in sein Team wählte. „Wir spielten damals alle barfuß, was mir so manchen gebrochenen Zeh bescherte, weil ich keinen Zweikampf scheute. Der Prohaska spielte mir den Ball zu und ich schoss aufs Tor. Er durfte sich ja nicht verletzen, deshalb überließ er mir den Abschluss. Dadurch wurde mein Schuss immer schärfer. Mein linkes Bein war meine Stärke!“

Nach unliebsamen Erfahrungen mit einem selbsternannten Fußball-Coach, der ein Frauenteam zusammenstellte, bei dem es äußerst unprofessionell zuging, beschlossen Annemarie und ihr Bruder, einen eigenen Frauenfußballverein zu gründen. Da es damals sehr schwierig war, Mädchen zum runden Leder zu bringen, rekrutierten sie die Spielerinnen aus dem Handballteam von Annemarie. Der Vater organisierte einen Trainingsplatz und so kam es 1964 zur Gründung des Hobbyvereins „Schwarz-Weiß“, der 1968 von der Herrenmannschaft des Union SC Landhaus als Sektion aufgenommen wurde. Der offizielle Spielbetrieb startete am 1. Oktober 1968. Gerhard Traxler fungierte als Sektionsleiter und Trainer. Er organisierte Spiele im Ausland, vor allem in der damaligen Tschechoslowakei. Im Inland gab es weder Gegnerinnen noch geeignete Spielstätten. Bei den Auswärtsspielen sammelten die Frauen wertvolle Erfahrungen – und Niederlagen, z. B. gegen deutsche Teams: „Gegen die haben wir nie eine Chance gehabt!“

Überraschung

Eines Tages erfolgte eine unerwartete Einladung nach Salzburg, wo wieder die gefürchteten deutschen Gegnerinnen warteten. Und die eigene Torfrau war auch noch ausgefallen. „Also blieb mir nichts Anderes übrig, ich musste wieder zurück ins Tor. Wir machten uns keine Hoffnungen auf einen Sieg. Zu meiner Überraschung war ich in Hochform. Ich hielt alles, was auf mich zukam. Die Deutschen waren verzweifelt und dann gelang uns auch noch das 1:0. Die Freude war riesig! Nach dem Spiel musste ich Autogramme schreiben. Was für ein unbeschreibliches Gefühl!“ Annemarie Leitner erhielt danach ein Angebot aus Deutschland, lehnte aber wegen ihrer Kinder ab. Außerdem wollte sie ihr eigenes Team nicht im Stich lassen. Und Handball spielte sie ja auch noch. „Meine Eltern haben mich großartig unterstützt bei den Kindern, sonst wäre das alles nicht möglich gewesen.“

Als der USC Landhaus 1971 als erster Frauenfußballverein in den Wiener Fußballverband aufgenommen wurde, begann der Aufstieg. Die Vielzahl an Wettkämpfen im In- und Ausland sowie der Trainingseinsatz formten ein ehrgeiziges und erfolgreiches Fußballteam. Schon bald gewann die Mannschaft die erste Meisterschaft, elf weitere sollten folgen, ebenso wie elf Cupsiege und ein Supercupsieg. Durch diese großen Erfolge trugen die Spielerinnen viel zum positiven Ruf des Frauenfußballs in Österreich bei.

Karriere

Annemarie Leitner war mehr als 20 Jahre lang ein wichtiger Teil der Erfolgsgeschichte des Vereines. Die Mannschaftskapitänin mit der Rückennummer 10 schoss in der Position der linken Stürmerin unzählige Tore. Über die Sportlerinnenkarriere der fast 80-Jährigen gibt ein großformatiges, über 70 Seiten starkes Fotobuch Auskunft, das Tochter Eveline liebevoll gestaltet hat. Das Fußballer-Gen hat sie von der Mutter geerbt, die sehr stolz auf sie ist. Gemeinsam spielten die beiden etliche Jahre in der Kampfmannschaft von Landhaus. Eveline Leitner besuchte Trainerkurse, legte die Prüfung für die A-Lizenz ab und war von 1991 bis 1997 Co-Trainerin der Österreichischen Frauen-Nationalmannschaft.

Glücksgefühle

Auch heute noch verfolgt Annemarie Leitner, deren Sehkraft leider stark nachgelassen hat, die Spiele von USC Landhaus an der Seite ihres Bruders Gerhard. Die beiden freuen sich darüber, dass die österreichischen Fußballerinnen inzwischen auf Augenhöhe mit den Spitzenmannschaften in Europa stehen. „Ich bin glücklich, gemeinsam mit Gerhard Vorreiter für viele Mädchen gewesen zu sein, damit auch ihre Träume in Erfüllung gehen können.“