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Kunst ertasten im Kunsthistorischen Museum Wien

Kunst & Kultur

Das Kunsthistorische Museum in Wien ist Pionier für barrierefreie Kunstvermittlung. Ein Interview mit Kunstvermittlerin Rotraut Krall.

Rotraut Krall engagiert sich seit 12 Jahren für barrierefreie Kunstvermittlung im Kunsthistorischen Museum Wien und gibt uns in diesem Interview Einblicke in ihre Aufgaben und ihre Motivation.

Seit wann arbeiten Sie im KHM, was genau ist Ihre Funktion?

Rotraut Krall: Ich arbeite seit 1984 in verschiedenen Vertragsverhältnissen im Kunsthistorischen Museum. Seit Jänner 2021 leite ich die Abteilung der Kunstvermittlung des Kunsthistorischen Museums.

Warum ist Ihnen Barrierefreiheit so ein Anliegen?

RK: Im Jänner 2010 bat mich Frau Generaldirektorin Dr. Sabine Haag, mich dieses Themas anzunehmen. Damals bot das damalige Unterrichtsministerium finanzielle Unterstützung zur Förderung von Kunstvermittlungsprogrammen für Kinder und Jugendliche, wobei auch die Thematik der Barrierefreiheit angeführt wurde. Da im Kunsthistorischen Museum bis dahin kaum etwas Derartiges umgesetzt wurde, entschloss ich mich, mich dieser Herausforderung zu stellen. Bis dahin hatte ich aber keine Erfahrung mit diesem Thema.

Wann gab es das erste Angebot und welches war das?

RK: Das erste Angebot waren drei Tastreliefs, die drei berühmte Gemälde aus den Sammlungen so umgesetzt haben, dass blinde und sehbeeinträchtigte Menschen die Komposition der Werke erleben konnten. Die technologische Um setzung, die in Zusammenarbeit mit der österreichischen außeruniversitären Forschungseinrichtung VRVis erfolgte, war damals nicht nur in Österreich, sondern weltweit ein Novum.

Was sind die besonderen Herausforderungen?

RK: Zuerst musste ich mich informieren, welche Arten von Sehbeeinträchtigungen es gibt, welche Hilfsmittel vorhanden sind, wie man damit umgeht usw. Meine erste Ansprechperson war Frau Eva Papst, die damals das Archiv im BBI leitete. Sie wurde meine Mentorin, sie hat mich mit ihrer eigenen Begeisterung für Kunst und für die Menschen gelehrt, anders zu sehen. Sie ist mit mir durch die Galerie des Museums gegangen, hat sich spontan von mir Gemälde beschreiben lassen und mich auch unmittelbar korrigiert oder mir Tipps gegeben, was ich besser machen könnte. Bildbeschreibungen für blinde Menschen müssen ja ganz anders erfolgen, als es im universitären Fach Kunstgeschichte gelehrt wird.

Ich verdanke Frau Papst das Wachsen meiner eigenen Liebe zu dieser Thematik. Daniele Marano, den ich durch Frau Papst kennenlernte, ergänzte meinen Erfahrungsschatz durch seine großartige Beherrschung vieler technologischer Hilfsmittel, die mir wieder bei der Umsetzung von Projekten zugutekamen. Und nicht zu vergessen ist die nach wie vor großartige Unterstützung der jeweiligen Interessensgemeinschaften, der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen und des ÖBSV, bei der Veröffentlichung all dessen, was im Kunsthistorischen Museum geplant und entwickelt wird.

"Es ist wichtig, dass sich die Kunstvermittlerin der Sache mit Empathie widmet." Rotraut Krall, Leiterin der Abteilung für Kunstvermittlung des Kunsthistorischen Museums

Gibt es ein Lieblingsprojekt?

RK: Das war das EU-Projekt ARCHES, das ich drei Jahre im Kunsthistorischen Museum begleitet habe (2016 – 2019). Zum ersten Mal arbeiteten wir mit einer Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, also mit blinden, gehörlosen und kognitiv beeinträchtigten Menschen zusammen. Das Ziel war die Entwicklung einer Museums-App, die von allen diesen Menschen in gleicher Weise verwendet werden kann, wenn sie ins Kunsthistorische Museum kommen. Das war eine unglaublich bereichernde und berührende Erfahrung, wie am Ende des Projekts alle Teilnehmer*innen gesagt haben, dass sie am liebsten weiterarbeiten würden und dass sie vor allem so dankbar waren, die Erfahrung zu machen, wie Menschen mit anderen Behinderungen leben und damit zurechtkommen. Gegen Ende des Projekts haben gehörlose Teilnehmer*innen die blinden Teilnehmer*innen geführt und die kognitiv beeinträchtigten haben Bildbeschreibungen vor dem Objekt gemacht. Das war eine herausfordernde, aber sehr spannende gemeinsame Zeit.

Wie kann man sich so eine Tastführung vorstellen?

RK: Zuerst erzähle ich ein wenig über den Künstler und seine Zeit, damit die Besucher*innen eine Idee davon bekommen, in welcher Epoche wir uns bewegen, was damals passiert – kurz gesagt eine kurze kulturgeschichtliche Einführung. Wenn ein Tastrelief oder Thermodrucke des zu beschreibenden Gemäldes vorhanden sind, lasse ich den Besucher*innen zuerst etwas Zeit, die Tasttools allein zu erforschen. Es ergeben sich ohnehin sofort Fragen, und aus diesem Fragen und Antworten wächst die Bildbeschreibung.

Zur weiteren Vertiefung der Eindrücke sind natürlich auch andere taktile Gegenstände hilfreich, die im Vorfeld von meinem Team vorbereitet werden. Sind keine Tastreliefs oder anderen taktilen Objekte vorhanden, ist eine im Vorfeld sehr genau überlegte Bildbeschreibung notwendig, die nicht nur die Verortung der Details umfasst, sondern vor allem die Stimmung, die Ausstrahlung des Werkes zur Sprache bringt. Gemälde leben durch Farben, Licht, Gesten, Gesichtsausdrücke. Die Begriffe von Farben und Licht sind natürlich nicht für alle vorstellbar, aber deshalb ist es umso wichtiger, dass sich die Kunstvermittlerin der Sache mit Empathie widmet.