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Klimaschutz & Barrierefreiheit

Mobilität

Coole Straßen, Pop-up-Radwege und Wohnstraßen sind nur einige der Maßnahmen für den Klimaschutz. Doch was bedeuten diese Maßnahmen für die barrierefreie Nutzung des öffentlichen Raums.

Die Corona-Pandemie sehen manche als vielleicht letzte Chance, die Klimakrise doch noch zu bewältigen. Denn schon kleine Veränderungen des Mobilitätsverhaltens zeigen positive Wirkung: So aktivieren bewegungsfreudige Stadtmenschen ihre Fahrräder und eBikes – oder schaffen sich sogar ihren ersten Drahtesel an –, weil man damit sehr gut Abstand halten kann. Andere müssen strampeln, weil sie derzeit kein Einkommen haben und die Öffi-Jahreskarte nicht bezahlenkönnen. Manche meiden die inzwischen wieder stark frequentierten Öffis aus Angst vor Ansteckung oder wollen keine Schutzmaske tragen. Das hat aber auch zur Folge, dass Autobesitzer wieder intensiv ihre Fahrzeuge nutzen. Nach dem wochenlangen, wohltuenden Fehlen der morgendlichen Staumeldungen im Radio sind diese längst wieder Alltag.

Stadt Wien

In Wien gab und gibt es zahlreiche Maßnahmen, um die Mobilität der Menschen bei gleichzeitiger Verkehrsberuhigung zu verbessern und die Auswirkungen der Klimakrise zu bekämpfen. Dazu gehören u. a. „Coole Straßen“, Dach- und Fassadenbegrünungen, Pop-up-Radwege, Wohnstraßen, (temporäre) Begegnungszonen, Ausbau des öffentlichen Verkehrs, eine Radwege-Offensive sowie neue Parks und Grünflächen. Geht es nach der rot-grünen Wiener Stadtregierung, sollen bis 2025 20 Prozent der Wege mit dem Auto und 80 Prozent der Wege mit Öffis, Rad und zu Fuß bewältigt werden.

„Derzeit liegen wir noch bei 27 Prozent Autoverkehr, aber die letzten Prozentpunkte sind am schwierigsten“, weiß Maria Grundner, die in der Mobilitätsagentur für die Themen Infrastruktur und Barrierefreiheit verantwortlich ist. Die Ingenieurin nutzt den Rollstuhl und stößt im öffentlichen Raum selbst immer wieder auf Hindernisse, die es zu beseitigen gilt. Und sie weiß, wie schwierig es ist, die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten zu vereinen.

Kontroversen

Ein viel diskutiertes Beispiel sind die neuen Pop-up-Radwege in Wien, mit denen die Stadt auf den erhöhten Platzbedarf für den Radverkehr während der Corona-Krise reagiert hat.

„Derzeit gibt es drei davon, die in ihrer Wirkung sehr unterschiedlich sind. Auf der Wagramer Straße wurde eine Autofahrspur für den Radverkehr abgetrennt. Dadurch wird der bereits vorhandene gemischte Geh- und Radweg, der noch dazu sehr schmal ist, entlastet. Der neue Pop-up-Radweg bringt für Fußgänger und Radfahrer deutlich mehr Sicherheit. In der Lassallestraße gab es bisher nur auf einer Seite einen schmalen Zweirichtungsradweg, da wird jetzt eine von neun Autospuren von den Radfahrern genutzt.“

Besonders heftig von Autofahrern kritisiert wurde der Pop-up-Radweg neben der Radspur in der Praterstraße. „Die Radfahrer haben jetzt viel mehr Platz. Davor war auf dem bestehenden, schmalen Radweg kein Überholen von langsameren Verkehrsteilnehmern möglich, z. B. von Eltern, die ihre Kinder in Anhängern oder Lastenfahrrädern mitnehmen. Die Zählungen ergeben hier eine hohe Frequenz, obwohl es manchmal etwas dauern kann, bis eine neue Infrastruktur angenommen wird.“

Die drei Pop-up-Radwege werden mit Anfang November wieder aufgelassen. Dabei bedeuten mehr Radwege, dass weniger Fahrräder und eScooter (verbotenerweise!) auf Gehsteigen unterwegs sind. Diese sind eine Gefahr für alle Fußgänger: Vor allem sehbeeinträchtigte Menschen sind durch die nahezu lautlose Annäherung der Einspurigen stark gefährdet. Blinden- und Sehbehindertenhilfsorganisationen kritisieren deswegen seit langem auch die gemischten Rad- und Gehwege, die nur optisch als solche gekennzeichnet und für visuell beeinträchtigte Verkehrsteilnehmer daher gar nicht wahrnehmbar sind.

Investitionen

Die Regierung will 2020 österreichweit bis zu 40 Mio. Euro für Radinfrastruktur ausgeben. Der Ausbau von Radnetzen könnte u. a. auch für mehr Barrierefreiheit und Sicherheit speziell für blinde und sehbehinderte Fußgänger sorgen. Allerdings waren Planer und politische Entscheidungsträger in der Vergangenheit nur allzu gerne bereit, dem Autoverkehr auf Kosten der Fußgänger mehr Raum zu geben. Das würde bedeuten: Bevor man eine Autospur für Radfahrer öffnet, wird eher aus einem Gehsteig ein Radweg. Das ist einfacher und man vermeidet den Aufschrei der motorisierten Verkehrsteilnehmer, deren Lobby sehr effizient arbeitet.

Der öffentliche Raum ist ungleich verteilt. Wenn seine Nutzung auch für schwächere Verkehrsteilnehmer und Menschen mit Behinderung attraktiv sein soll, muss es eine barrierefreie Umgestaltung und vor allem eine faire Aufteilung geben.

Frische Ideen

Während die Umsetzung von Barrierefreiheit bei bereits vorhandener Infrastruktur schwierig scheint, kann sie bei Neuplanungen gleich von Anfang an mitgedacht werden. So geschehen bei den „Coolen Straßen“: „Sie sind im Sommer für hitzegeplagte Wienerinnen und Wiener das ‚Wohnzimmer im Freien‘. Zusätzliche Sitzgelegenheiten, Schattenspender, Sprühnebelduschen und Trinkbrunnen sorgen an heißen Sommertagen für Abkühlung. Von Montag bis Samstag ist eine Betreuungsperson vor Ort. Neben den zahlreichen temporären Coolen Straßen, die seit 20. September aufgelassen worden sind, gibt es auch vier dauerhafte“, erläutert Maria Grundner.

Auflistung Cooler Straßen

Die Rückeroberung des öffentlichen Raumes durch die Stadtbewohner findet auch in den zahlreichen Wohnstraßen statt, die zum Verweilen, Plaudern, Essen und Spielen einladen. „Die Fahrbahn wird von allen genutzt. Dort darf man z. B. mit Rollschuhen und Skateboards fahren oder mit dem Rad gegen die Einbahn. Vor allem Familien mit Kindern, die keinen Innenhof oder Park in der Nähe haben, profitieren davon. Autos dürfen zwar in Schrittgeschwindigkeit zufahren, nicht aber durchfahren. Die Wohnstraßen sind mit Schildern versehen und durch Fahrbahnerhebungen gekennzeichnet“, so Grundner. „Leider werden diese Schilder aber oft übersehen. Da wäre viel mehr Aufklärung notwendig!“

Mehr Vielfalt

Wohnstraßen können von den jeweiligen Bezirksvorstehungen beantragt werden. Die MA 46 prüft dann die Eignung der vorgeschlagenen Straße. Durch Bäume und Sträucher wird sie optisch gestaltet und für die Bewohnerinnen und Bewohner aufgewertet. Zwei Vereine – space and place und geht-doch.wien – bespielen fallweise die rund 180 Wohnstraßen in Wien. Mit ihren kreativen Ideen sorgen sie für mehr Lebensqualität und Vielfalt.

Initiativen und Maßnahmen wie die genannten verhelfen der Stadt Wien regelmäßig zu internationalen Top-Platzierungen, wenn es um die Bewertung der Lebensqualität geht. Fehlt also nur noch eine Spitzenposition in puncto Barrierefreiheit!