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Klaus Höckner über Digitalisierung

Barrierefreiheit

Klaus Höckner im Interview über digitale Barrierefreiheit, neue Trends wie künstliche Intelligenz und wie die Hilfsgemeinschaft auf diesem Feld involviert ist.

Klaus Höckner ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Hilfsgemeinschaft, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger im Bereich Barrierefreiheit im Web und Experte für Künstliche Intelligenz. Üblicherweise ist er viel auf Reisen und international sehr gut vernetzt. Wir haben mit ihm über die Herausforderungen und die Chancen der zunehmenden Digitalisierung vor allem für Menschen mit Behinderungen gesprochen.

Klaus, du bist viel unterwegs, auch international – warum findest du das so wichtig?

Klaus Höckner: Barrierefreiheit ist ein Thema, das uns weltweit bewegt. Es gibt 1 ,4 Milliarden Menschen mit Behinderung weltweit, die meisten davon in sogenannten Schwellenländern. Es ist wichtig, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderungen überall gehört werden. Dazu gehört auch, dass man sich Beispiele aus anderen Ländern, die vielleicht schon gute Regelungen und Praktiken eingeführt haben, anschaut und diese dann auf die eigene Situation, auf das eigene Land, überträgt. Wir müssen das Rad nicht immer neu erfinden.

Kannst du uns ein Beispiel geben, was du in diesen Gremien tust?

Klaus Höckner: Ein gutes Beispiel ist die Normungsarbeit in der International Standardisation Organisation ISO. Hier sitze ich in einer Arbeitsgruppe, die sich beispielsweise mit der Barrierefreiheit von sogenannten Touchscreens beschäftigt. Für blinde Menschen ist es schwierig, Geräte zu bedienen, die keine haptischen Elemente haben. Daher versuchen wir Normen zu definieren, die diese Geräte für alle Menschen mit Behinderung bedienbar machen. Ein weiteres Beispiel ist die International Association of Accessibility Professionals, die weltweit Zertifizierungen von Personen im Bereich Barrierefreiheit anbietet, da übersetzen wir die Prüfungen und bieten Schulungen für die Zertifizierungen an.

Kannst du uns ein Highlight aus dieser internationalen Zusammenarbeit nennen?

Klaus Höckner: Besonders herausragend ist die Zusammenarbeit mit Zero Project, einem Netzwerk von inzwischen fast 4.500 Organisationen, Firmen, Personen und Stellen weltweit. Zero Project sammelt beispielhafte Projekte und Initiativen aus allen Ländern der Welt, stellt diese der Community vor und versucht, diese in anderen Ländern ebenfalls umzusetzen. Damit zusammenhängend möchte ich die Zusammenarbeit mit Access Israel, einer sehr aktiven und modernen Organisation aus dem Hightech-Land Israel hervorheben, mit der wir jedes Jahr einen Austausch über die österreichische Außenwirtschaftskammer organisieren, um hier technologische Hilfestellungen für Menschen mit Behinderungen im jeweils anderen Land bekannt zu machen.

Du bist Experte für AI, Artificial Intelligence – was bedeutet das?

Klaus Höckner: Künstliche Intelligenz meint im landläufigen Sinne, dass Maschinen die Funktionen und Arbeitsweisen von Menschen übernehmen (werden). Das heißt Maschinen, Computersysteme und Ähnliches übernehmen menschenähnliche Intelligenzleistungen, die Urteilsvermögen, die Fähigkeit zu lernen und Problemlösungsfähigkeit beinhalten. Wir kennen das alle in Form von Gesichtserkennung, Spracherkennung, autonomem Fahren etc. Großteils handelt es sich um maschinelles Lernen, das heißt Maschinen lernen, Muster und Verhaltensweisen zu erkennen, indem sie große Mengen an Daten verarbeiten, aber eben nicht nur. Auch die Robotik, in Form von Pflegerobotern und sonstigen assistierenden Systemen, ist hier abgedeckt. Wir sind alle schon von solchen Systemen umgeben, wissen es aber meist nicht.

Welche Chancen für blinde und sehbehinderte Menschen siehst du hierin?

Klaus Höckner: Provokant gesprochen: Warum soll ein blinder Mensch nicht mit dem (selbstfahrenden) Auto fahren? Abseits dieses plakativen Beispiels gibt es viele Möglichkeiten, wo selbstlernende Systeme und künstliche Intelligenz Menschen mit Behinderung und auch vor allem sehbehinderten Menschen helfen kann: Sei es von Sprachein- und -ausgabe über die Muster- oder Gesichtserkennung sowie automatische alternative Textbeschreibungen für Bilder bis hin zu Audiodeskriptionssystemen und automatisiertem Anpassen von Benutzerschnittstellen.

"Internationale Zusammenarbeit ist unverzichtbar, um gemeinsame Ziele zu erreichen."

Wie beurteilst du die zunehmende Digitalisierung vor allem für Menschen mit Behinderung?

Klaus Höckner: Einerseits als große Chance, aber auch als Gefahr. Digitalisierung heißt eine Steigerung der Lebensqualität und des selbstbestimmten Lebens durch leichteren und umfassenderen Zugang zu Information, Gütern und Dienstleistungen. Aber eben nur dann, wenn diese Zugänge auch barrierefrei gestaltet sind. Oftmals wird aus Unwissenheit und/oder Unachtsamkeit auf die 15 % der Bevölkerung, die auf barrierefreies Design angewiesen sind, vergessen. Dabei verbessert dies den Zugang für 100 % aller Nutzer.

Was erwartest du dir im Hinblick auf die weitere Entwicklung?

Klaus Höckner: Durch die Bevölkerungsentwicklung bedingt wird Barrierefreiheit eine immer größere Rolle spielen. Laut Eurostat werden im Jahr 2030 über 30 % der europäischen Bevölkerung über 60 Jahre alt sein. Auch im Rahmen der EU ist eine starke Ausrichtung hinsichtlich Barrierefreiheit zu sehen. Dies manifestiert sich in Richtlinien wie dem sogenannten European Accessibility Act (Barrierefreiheit für den privaten Bereich), das Webzugänglichkeitsgesetz als Umsetzung der Web Accessibility Directive (Barrierefreiheit von Websites und Apps im behördlichen Bereich) und der Richtlinie für die barrierefreie Beschaffung, die EN 301549. Es gibt auch Richtlinien für das barrierefreie Bauen und für universal Design, die ebenfalls auf europäischer Ebene gültig sind und teilweise noch der Umsetzung harren. Aber auch hier erwarte ich mir einen zunehmenden Druck durch gesetzliche Bestimmung und eine zunehmende Nachfrage durch die Bevölkerungsentwicklung.

Welche Rolle soll die Hilfsgemeinschaft in dieser Diskussion, dieser Entwicklung einnehmen?

Klaus Höckner: Aktive Mitgestaltung und Austausch mit allen beteiligten Personen, Gruppen und Interessenverbänden. Wir schauen über den Tellerrand hinaus, man darf nicht eine Gruppe von Menschen mit Behinderung gegen die andere ausspielen.

Was sind deine Ziele für die Hilfsgemeinschaft?

Klaus Höckner: Die Positionierung als einen modernen, am Puls der Zeit agierenden Verein, der für alle Mitglieder, aber nicht nur für sie da ist. Und natürlich die Schaffung einer gesunden Basis, damit wir auch noch in 50 Jahren helfen können, wobei ich hoffe, dass es dann nicht mehr notwendig ist, einen Verein wie unseren zu haben …