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Ein Jahr Erwachsenenschutzgesetz

Beratung & Soziales

Selbstbestimmung statt Entmündigung: Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Erwachsenenschutz-Gesetzes lässt sich eine erste, positive Bilanz ziehen.

Mit 1. Juli 2018 wurden alle Sachwalterschaften in Österreich – man geht von rund 55.000 aus – automatisch zu gerichtlichen Erwachsenenvertretungen (EV). Innerhalb von fünfeinhalb Jahren muss jede ehemalige Sachwalterschaft dahingehend überprüft werden, ob unter den neuen Kriterien weiterhin eine gerichtliche Vertretung nötig ist. Spätestens mit Anfang 2024 enden alle bis dahin nicht überprüften übergeleiteten Vertretungen.

Selbstbestimmung statt Entmündigung

Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Erwachsenenschutz-Gesetzes lässt sich eine erste, positive Bilanz ziehen: Denn neu ist, dass die Geschäftsfähigkeit der betroffenen Personen grundsätzlich erhalten bleibt. Anstatt entmündigt zu werden, können sie trotz EV – soweit situativ entscheidungsfähig – weiterhin selbstbestimmt handeln. Allerdings sind die neuen Möglichkeiten noch zu wenig bekannt, weshalb eine Beratung durch einen der vier in Österreich tätigen Erwachsenenschutzvereine ratsam ist.
Das Gesetz sieht vier Arten der Vertretung für volljährige Personen vor, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind.

Vorsorgevollmacht

Die Vorsorgevollmacht gewährt Personen die noch über die volle (oder eine ausreichende) Entscheidungsfähigkeit verfügen die größte Autonomie, weil sie damit schon vorsorglich sämtliche Regelungen für alle Bereiche ihres Lebens (=Wirkungsbereich) nach ihren Wünschen festgelegen können. Sie wird erst dann wirksam, wenn die betreffende Person nicht mehr entscheidungsfähig ist.
Die Vorsorgevollmacht ist unbefristet, sie muss schriftlich beim Notar, Rechtsanwalt oder einem Erwachsenenschutzverein errichtet werden und wird wie die drei anderen Formen der EV ins ÖZVV (Österreichisches zentrales Vertretungsverzeichnis) eingetragen.

Gewählte EV

Die gewählte EV ist eine Alternative für Personen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit, die noch verstehen können was es bedeutet eine Vertretungsperson zu haben und eine solche nominieren können. So kann z. B. eine psychische Erkrankung dazu führen, dass jemand vorübergehend seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann. In diesem Fall kann eine Person des Vertrauens als gewählte EV eingesetzt werden, die für ganz bestimmte Dinge vertretungsbefugt ist, z. B. für die Vermögensverwaltung. Die vertretene Person kann in der Vereinbarung auch festhalten, dass Entscheidungen nur mit ihrer Zustimmung („Co-Decision“) getroffen werden dürfen.

Gesetzliche EV

Diese Vertretungsart kommt zum Tragen, wenn eine erwachsene Person nicht mehr alleine in der Lage ist ihre Angelegenheiten zu regeln (oder sich selbst gefährden würde) und nicht mehr selbst eine Vertretung wählen kann. Als gesetzliche EV kommen die nächsten Angehörigen in Frage, auch Neffen und Nichten sowie Partner, die seit drei Jahren im gemeinsamen Haushalt leben. Hier besteht jedoch die Möglichkeit für Betroffene, der Vertretung durch bestimmte nächste Angehörige – aktuell oder auch schon vorab – zu widersprechen. Dieser Widerspruch muss im ÖZVV registriert sein, um wirksam zu werden.

Die gesetzliche EV endet spätestens nach drei Jahren, kann aber nach Prüfung der Voraussetzungen für weitere drei Jahre verlängert werden.

Gerichtliche EV

Sie ist die strengste Form und ersetzt die bisherige Sachwalterschaft. Diese Vertretung wird vom Gericht bestellt, wenn die betroffene Person keine Vorsorgevollmacht hat, nicht mehr in der Lage ist eine EV selbst zu wählen, keine Unterstützung durch nahestehende Personen hat oder schwierige Lebensumstände diese Lösung nötig machen.

Die rechtliche Handlungsfähigkeit der vertretenen Person wird dabei aber nicht automatisch eingeschränkt. In einem mehrstufigen Verfahren von unterschiedlich langer Dauer wird unter Einbindung der betroffenen Person entschieden, ob und in welchem Umfang eine gerichtliche Vertretung errichtet werden muss.

Clearingverfahren

So wird zu Beginn durch einen Erwachsenenschutzverein im Rahmen eines Clearingverfahrens geklärt, welche konkreten Angelegenheiten durch eine Vertretung zu besorgen sind. Das Gericht kann auch einen Genehmigungsvorbehalt aussprechen, d. h. bestimmte Rechtsgeschäfte oder Verfahrenshandlungen des Betroffenen bedürfen dann jedenfalls der Zustimmung der Vertretung.

VertretungsNetz als gerichtlicher Vertreter

Als gerichtliche Vertreter fungieren neben nahestehenden Personen auch Notare, Rechtsanwälte oder Erwachsenenschutzvereine, wie z. B. das VertretungsNetz (www.vertretungsnetz.at). Dieser Verein ist der größte in Österreich und bietet neben kostenlosen telefonischen und persönlichen Beratungen auch Informationsveranstaltungen für Menschen an, die eine Vertretung für eine nahestehende Person übernehmen wollen oder bereits innehaben. „Wir klären, noch bevor es zu einer gerichtlich bestellten Vertretung kommt, ob es eine Alternative gibt. Unser Fokus ist dabei Unterstützung vor Vertretung. Außerdem bewerkstelligen wir die Errichtung und Registrierung gewählter und gesetzlicher Erwachsenenvertretungen im ÖZVV. Wenn eine gerichtliche EV nötig ist übernehmen wir diese gegebenenfalls, je nach Fallkonstellation und aktuellen Kapazitäten“, umreißt Thomas Stidl, Bereichsleiter Erwachsenenvertretung Wien II, die wichtigsten Aufgaben des Vereins.

So wurde z. B. im Rahmen eines Clearings geprüft, ob eine junge Frau, die an einer Persönlichkeitsstörung leidet, eine gerichtliche EV benötigt. Ihr besorgter Bruder hatte das angeregt, weil sie in manischen Phasen große Einkäufe getätigt hatte und nun ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte. Auch Mietrückstande waren angefallen und die junge Frau hatte Angst, die Obsorge für ihre beiden Kinder zu verlieren. Bei Terminen mit dem VertretungsNetz wurde schließlich gemeinsam eine Lösung gefunden. Eine gute Freundin übernahm die Bankgeschäfte und arbeitete einen Rückzahlungsplan aus. Der besorgte Bruder erklärte sich bereit, den Mietrückstand einmalig abzudecken. Der Clearingbericht empfahl die Einstellung des Verfahrens zur Bestellung einer gerichtlichen EV aufgrund des Vorliegens subsidiärer Unterstützung.

Praxisbericht aus der Waldpension

Erfahrungen aus der Praxis der Waldpension, dem Seniorenwohnhaus der Hilfsgemeinschaft in NÖ, zeigen ebenfalls positive Tendenzen. „Etwa 80 Prozent unserer Bewohner in der Pflegeeinheit haben eine gerichtliche EV. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Die meisten kümmern sich sehr gut um unsere Bewohner, die häufig keine Verwandten mehr haben. Wir haben zum NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz gute Kontakte. Dort ist immer jemand erreichbar, wir bekommen kompetente Auskünfte und Entscheidungen erfolgen rasch und unkompliziert“, berichtet Leiterin Birgit Ofenböck.

Empfehlung für die Bewohner

Den Dauergästen wird empfohlen, eine Vorsorgevollmacht zu errichten. Das wird gut angenommen und garantiert eine reibungslose Fortführung von administrativen und pflegerischen Belangen, sobald eine Person ihre Geschäftsfähigkeit verliert.

„Es ist jetzt viel einfacher, das Thema Erwachsenenvertretung anzusprechen. Die Menschen haben keine Angst mehr, dass über ihren Kopf hinweg entschieden wird. Jeder sollte sich darüber Gedanken machen, das ist keine Altersfrage“, appelliert Ofenböck. „Es ist nicht einfach sich einzugestehen, dass man vielleicht nicht immer voll geschäftsfähig sein wird. Aber wenn das zu spät geschieht, ist die nötige Objektivität und Distanz nicht mehr gegeben und es wird für alle Beteiligten sehr schwierig.“

Umfassende Infos zum Thema bietet die Broschüre „Erwachsenenschutzrecht“ des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz, die unter www.justiz.gv.at bestellt bzw. heruntergeladen werden kann.