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Altersarmut

Beratung & Soziales

Altersarmut ist ein wachsendes gesellschaftliches Problem. Sozioökonom Dr. Lukas Richter klärt auf.

Frau M. wurde 1931 in Wien geboren. Sie überlebte die harte Zwischen- und Nachkriegszeit. Trotz der wirtschaftlich schlechten Situation fand sie eine Lehrstelle als Schneiderin. Obwohl sie später auch die Meisterprüfung ablegte, blieb sie als unselbstständig Beschäftigte in diversen Betrieben – wobei sie nicht immer angemeldet war. Nach 40 Arbeitsjahren ging sie wie damals üblich im Alter von 55 Jahren in Pension. Die überaus sparsame Frau hatte nie geheiratet und auch keine Kinder. Heute lebt sie in einer kleinen Wohnung am Stadtrand. Als Schneiderin verdiente sie recht wenig, daher erhält sie zu ihrer geringen Pension die erhöhte Ausgleichszulage. Aufgrund ihres Einkommens ist sie nun von Altersarmut betroffen.

Reiches Land, arme Alte

Wie kann es sein, dass in einem so reichen Land wie Österreich mehr als 14 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet sind? In Zahlen ausgedrückt sind das über 1,1 Mio. Menschen. Darin enthalten sind rund 206.000 Personen, die älter als 65 sind, 147.000 davon sind Frauen. (Quelle: EU-SILC Statistik 2018). „Die Ursachen dafür sind vielfältig, außerdem gibt es verschiedene Definitionen des Begriffes Armut“, weiß Dr. Lukas Richter. Der Sozioökonom lehrt und forscht an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften und an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Richter hat sich auf Altersarmut spezialisiert, weil soziale Ungleichheit und Armut wichtige Themen sind, die von der Forschung aufgegriffen werden müssen. „In Österreich wurde durch den EU-Beitritt das Thema präsenter, denn innerhalb der EU wird Armut im Rahmen der jährlichen verpflichtenden EU-SILC Statistiken gemessen. Auf sozialpolitischer Ebene liegt der Fokus auf Einkommensarmut, ergänzt um den Indikator ‚materielle Deprivation‘. Mit Letzterem ist das Vermögen gemeint, sich gewisse Dinge leisten zu können, die den durchschnittlichen Lebensstandard kennzeichnen, wie z. B. die Wohnungsmiete, die angemessene Beheizung der Wohnung, eine Woche Urlaub pro Jahr, Lokalbesuche, ein Handy, eine Waschmaschine.“

Arm oder einkommensarm?

Während Armut früher meist mit Einkommensarmut gleichgesetzt wurde, spricht man inzwischen von Armutsgefährdung. Richter kritisiert diese Bezeichnung, weil sie nur ein Gefahrenpotenzial suggeriert und dadurch den Armutsbegriff selbst abschwächt. Laut der EU-SILC Statistik 2018 liegt die Armutsgefährdungsschwelle in Österreich für einen Einpersonenhaushalt bei einem Netto-Jahreseinkommen von EUR 15.105,– bzw. bei EUR 1.259,– netto pro Monat. „Das ist nicht per se arm, sondern einkommensarm. Manche Menschen haben nämlich eine Wohnung mit sehr niedriger Miete, sind gute Handwerker, haben einen eigenen Gemüsegarten und somit niedrigere Lebenshaltungskosten. Sie würden sich selbst daher nicht als arm bezeichnen. Andere wiederum schieben die Mahnungen für Miete, Strom und Gas hin und her, haben am Monatsende kein Geld mehr für Essen und stehen kurz vor der Obdachlosigkeit“, relativiert der Forscher den Fokus auf Einkommensarmut.

Frauen häufiger betroffen

Dass unser staatliches Pensionssystem überwiegend auf Basis des Erwerbseinkommens funktioniert (Höhe x Dauer), ist vor allem für Frauen ein großes Problem: Wenn sie in schlecht bezahlten Berufen arbeiten und/oder aufgrund von Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen nicht durchgängig erwerbstätig sein können bzw. Teilzeit arbeiten, enden sie oft in der Armutsfalle. Wer wenig (oder gar nicht) gearbeitet hat, landet in der Mindestsicherung mit allen damit verbundenen Nachteilen und bleibt dort hängen.

Wenig Alternativen für Frauen

Aber selbst wenn eine Frau 40 Arbeitsjahre vorweisen kann – wie im eingangs erwähnten Fall –, ist das kein Schutz vor Altersarmut. Darüber hinaus sind die Möglichkeiten, die Einkommenssituation zu verbessern, mehr als begrenzt: Ein Zuverdienst durch Arbeit ist nur dann möglich, wenn man gesundheitlich dazu in der Lage ist. Gesundheitliche Beeinträchtigungen wirken sich jedoch ganz massiv auf den Alltag armutsgefährdeter Personen aus. Im Fall von Frau M., die am Stadtrand wohnt, werden Einkäufe, Bankenwege oder Arztbesuche aufgrund mangelnder Mobilität zum Problem. Tägliche Routinen wie Essenszubereitung oder Körperpflege fallen ihr immer schwerer. Und ohne Angehörige ist sie darauf angewiesen, für Unterstützungsleistungen zu bezahlen. Oft reicht das Pflegegeld aber gar nicht aus, um das tägliche Leben zu finanzieren. Wenn die Heimhilfe nicht mehr genügt, bleibt ihr nur noch das Pflegeheim.

„Mit einer höheren Pension und einem 24-Stunden-Pflegeangebot von staatlicher Seite basierend auf Qualitätsstandards in ganz Österreich könnte das Pflegeheim oft vermieden werden. Viel entscheidender ist aber die Frage, wie hilft man derzeit altersarmen Menschen sinnvoll und wie verhindert man, dass in Zukunft Personen altersarm werden? Was bisher getan wurde, ist zu wenig, um einen menschenwürdigen Lebensstandard zu sichern.“

Referenzbudgets

Richter bezieht sich u. a. darauf, dass die Armutsgefährdungsschwelle deutlich unter den Referenzbudgets zur Stärkung sozialer Teilhabe liegt, die jährlich von den Schuldnerberatungen in Österreich erstellt werden. Referenzbudgets sind Ausgabenraster für verschiedene Haushaltstypen, die aufzeigen, wie viel an Einkommen zur Verfügung stehen muss, um einen angemessenen, wenn auch bescheidenen Lebensstil zu ermöglichen. Für 2019 lag das Referenzbudget für einen Einpersonenhaushalt bei EUR 1.434,–. Zum Vergleich dazu lag die Armutsgefährdungsschwelle laut EU-SILC Statistik 2018 bei EUR 1.259,– netto pro Monat.

2010 wurde von der EU die Europa 2020-Strategie ausgearbeitet, um ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu schaffen. Eines der darin verfolgten Ziele betrifft die europaweite Reduktion der Zahl der EU-Bürger unterhalb der jeweils nationalen Armutsgrenze um 25 Prozent. 2008 ging man von 116,1 Mio. Betroffenen aus, diese Zahl sollte bis 2020 auf 96,1 Mio. gesunken sein – also um 20 Mio. Personen. Auf europäischer Ebene wird dieses Ziel deutlich verfehlt werden.

Strategie in Österreich

Auf Österreich umgelegt ist das Ziel eine Reduktion um 235.000 Personen. Eine Tendenz in diese Richtung kann festgestellt werden: Der Anteil der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten an der Gesamtbevölkerung ging von 20,6 Prozent im Jahr 2008 auf 17,5 Prozent im Jahr 2018 um 187.000 Personen zurück. Die angestrebte Reduktion wurde bis 2018 zu rund 80 Prozent erreicht.

Die Politik weiß wohl um die Relevanz des Themas Altersarmut Bescheid. Mit dem entsprechenden Budget wäre das Problem durchaus lösbar. „Jedoch wird in den nächsten Jahrzehnten die Altersarmut in Österreich wohl eher wieder ansteigen. Sobald das neue Pensionssystem mit dem Durchrechnungszeitraum von 40 Jahren voll greift, wird man die negativen Auswirkungen sehen“, so Richter.

Lösungsansätze

Welche Lösungen schlägt der Experte vor? „Eine Basis- oder Mindestpension, unabhängig vom Erwerbseinkommen. Das wäre vor allem für Menschen mit Behinderungen wichtig, wenn sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können und lebenslang auf Mindestsicherung angewiesen sind. Es braucht Investitionen in den Bereichen Pflege und Kinderbetreuung, um Frauen zu entlasten. Die Kinderbetreuung aller Altersstufen sollte kostenlos sein, damit Frauen erwerbstätig sein können, und es sollte verstärkt Förderkurse für Mütter geben, um ihnen den beruflichen Wiedereinstieg nach der Karenz zu erleichtern. Ein ausreichender Mindestlohn wäre auch nötig – es ist eigentlich gar nicht so schwierig!“

Buchtipp

Richter, Lukas: Lebenslagen unter Altersarmut, Springer-Verlag, 2019