Pfeil nach links Pfeil nach rechts Öffnen Suchen Pausieren Abspielen Auf X teilen Auf Linkedin teilen Auf Facebook teilen Auf Youtube teilen Auf Instagram teilen

Buchrezension: Radikale Inklusion

Rezensionen

Hannah Wahl stellt der Behindertenrechtspolitik in Österreich in ihrem neuen Buch „Radikale Inklusion“ ein düsteres Zeugnis aus. Die einzige Lösung? Radikale Inklusion.

Die Inklusion hat sich in Österreich verkeilt. Sie ist ins Stocken geraten und in manchen Bereichen sogar rückläufig. Hannah Wahl stellt der Behindertenrechtspolitik in Österreich in ihrem neuen Buch „Radikale Inklusion“ ein düsteres Zeugnis aus: beinahe nirgends, wo Inklusion draufsteht, ist Inklusion drin. Die einzige Lösung? Radikale Inklusion als Gegenstück zur Ausgrenzung.

Worum geht es in „Radikale Inklusion“?

Wahl ist Autorin, freie Journalistin und PR-Beauftragte für den Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. In ihrem Buch „Radikale Inklusion – Ein Plädoyer für Gerechtigkeit“ spricht sie die großen Themen von Menschen mit Behinderungen in Österreich an: erhöhte Betroffenheit von Gewalt, Leben in Heimen, arbeiten für Taschengeld, Armut, mangelnde staatliche Unterstützung für Hilfsmittel, Ausschluss aus politischen Entscheidungsprozessen und nicht zuletzt die Helden-oder-Opfer-Narrative in den Medien.

Dabei zeigt sie nicht nur Missstände auf, sondern ordnet diese auch ein und macht Ausflüge in die Geschichte, um zu erzählen woher unser Bild von Behinderung kommt und was es mit uns macht. Behinderung wird als „anders“ markiert und Schon als Kinder lernen Menschen mit Behinderungen, dass körperliche oder Verhaltensabweichung von der Norm mit sozialer Isolation bestraft wird. Die Einstufung, wer in Österreich als behindert gilt und wer nicht, also wer Anrecht auf Sozialleistungen hat und wer nicht, ist laut Wahl immer noch von einem medizinischen Blick auf Behinderung geprägt.

Wie ist das Buch geschrieben?

Aktivistinnen und Aktivisten beklagen oft, dass sie beim Erklären für nichtbehinderte Menschen immer bei Null anfangen müssen, weil der Wissensstand über Behinderung und Barrieren bei den meisten Menschen kaum vorhanden ist. Wahl schafft diesen Spagat und bietet zwar einerseits Erklärungen für die wichtigsten Begriffe und Studien, dringt gleichzeitig aber tief in die verschiedenen Ausprägungen von Ableismus (= Form der Diskriminierung, basiert auf der Annahme, dass Menschen mit Behinderungen weniger Fähigkeiten haben und weniger Wert sind) ein. Ihre theoretischen Annahmen illustriert sie mit aktuellen Beispielen und lässt dafür auch verschiedene Personen mit Behinderungen für sich selbst sprechen. In ihrer Analyse betrachtet sie die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen aus verschiedenen Perspektiven und unterzieht auch unsere Wirtschaft ihrer Kritik.

Unser Fazit

 „Radikale Inklusion“ ist keine leichte Spaßlektüre, aber erzeugt gesunde Wut auf ein diskriminierendes System, das Menschen mit Behinderung und ihre Grundrechte seit Jahrzehnten hintenanstellt. Wahl gibt uns einen Leitfaden an die Hand, wie wir diese Wut kanalisieren und Radikale Inklusion aus der Utopie in die Realität holen können. Wer nach Kompromiss sucht, wird in dieser Streitschrift nicht fündig werden. Wahl findet klare Worte, etwa wenn sie schreibt, dass es ohne Deinstitutionalisierung (= die Abschaffung von Betreuungs- und Wohnstrukturen wie Heimen) keine Inklusion geben kann. Sie zeigt auf, an welchen Schrauben man drehen muss, um wirklich radikale Veränderung für die prekäre Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen heute hervorzurufen.

Spoiler: dafür müssen wir nicht nur unser eigenes Bild von Behinderung und Normalität hinterfragen, sondern auch unser solidarisches Miteinander neudenken.

Barrierefreies Buch

Dass sie sich durchaus auch selbst an der Nase nimmt, zeigt sie, indem sie gleich zu Beginn ihre eigene Ausdrucksweise reflektiert. Außerdem fettes Plus: Am Ende des Buches gibt es eine Zusammenfassung in Leichter Sprache (A2), die man außerdem als barrierefreies PDF downloaden kann.

Klare Leseempfehlung, gerade angesichts der aktuellen Staatenprüfung Österreichs durch den UN-Fachausschuss über die Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen!